Page 33 - weihnachtskurier_2023
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«Doch mein Gott!, seufzten wir alle einstimmig, wo ist jetzt das von Haller so gepriesene glückliche Alpen­ leben? Wo sind jetzt die unschuldigen Hütten des Ber­ ner Oberlandes? Alle in seinem Gedicht gepriesene Schönheiten verlieren sich in einer dreckigen Senn­ hütte. (...) Müde vom immerwährenden Steigen, an den Beinkleidern und Überröcken tropfnass vom an­ haltenden Regen, von der Nacht in einem armseligen, in Schlamm und Kot halb versunkenen, öden, rau­ chenden Gaden befallen, in Gesellschaft der Schweine, des unvernünftigen Viehs! – Kein Stuhl, kein Tisch, nicht den geringsten Schatten von Bequemlichkeit. Halb erfrierend von der nassen Kälte, halb blind von dem dicken Rauch einer russigen Feuerstelle, ohne Licht – und dann und dann, das wehmütigste, bemit­ leidenswürdigste: ohne eine Lagerstätte! (...) Erzählt von jener traurigen Nacht euren Geliebten und sie werden euch holder sein! Euren Kindern, und sie wer­ den über nichts mehr klagen! Euch selbst, wenn ihr übellaunig und wegen kleiner Verdriesslichkeiten böse seid, und ihr werdet augenblicklich zufriedener und gegen euer jetziges Schicksal dankbar sein!»51
Ob sich diese Art vormoderner Erlebnispädagogik zum Geschäftsmodell für einen arbeitslosen Pfarranwärter ausbauen liess? Kaum war Schinz zurück in Zürich, er- hielt er von Johann Caspar Schulthess zum Rechberg (1709–1804), Seidenfabrikant, Bankier und Mitglied des Kaufmännischen Direktoriums, den Auftrag, seinen jüngsten Sohn auf eine Reise nach Frankreich und Italien zu begleiten. Für den etwas kränklichen Leonhard Schulthess ging es wohl eher um die Anbahnung und Pflege geschäftlicher Kontakte, man reiste standesbe- wusst, was die Wahl der Gasthäuser und Fortbewegungs- mittel betraf, und stellte sogar einen Diener ein, welcher sich auf die Pflege der Perücken und aufs Rasieren ver- stand und bereit war, die Reise auf dem Kutschbock zu
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