Page 34 - weihnachtskurier_2023
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absolvieren.52 Für Schinz, der wohl als männliche Gou- vernante auf den jungen Kaufmannssohn aufzupassen hatte, ergab sich die Gelegenheit, Städte wie Lyon, Mar- seille, Turin, Genua, Mailand usw. zu besichtigen. In Rom hielten sich die beiden Zürcher vier Wochen lang auf und nahmen an einer Papst-Audienz teil, in Neapel bestiegen sie den Vesuv und Schinz beschaffte sich verschiedene Na- turalien, die er später der Naturforschenden Gesellschaft Zürich (NGZ)53 zum Geschenk machte. Weil Leonhard Schulthess ernstlich erkrankte, blieben sie während zweier Monate in Venedig und kamen wohl erst Ende Sommer 1774 zurück nach Zürich. Ein ganzes Jahr unterwegs – in Schinz’ Tagebuch finden sich mehrere Einträge, die sehn- suchtsvoll Szenen stillen häuslichen Glücks schildern, so zum Beispiel über die freundliche Beherbergung in einem reformierten Pfarrhaus in der Umgebung Turins:
«Gesegnet seist du mir, zufriedene Einsamkeit, häus­ liche Eintracht! Inneres stilles Glück des edlen Landle­ bens, Mutter der Gastfreiheit, der schönsten unter al­ len Tugenden. Sei mir ein nachahmliches Beispiel, du glückliches Paar! (...) Gott beschere mir auch solche Tage, die er seinen lieberen Dienern gönnt. Ein voll­ kommenes Muster einer vergnügten Ehe ist Herr Las­ seur und sein Weib (...) So soll es einst in meinem Häuschen auch sein (...) danach sehnte ich mich und ging mit diesem Wunsch schlafen.»54
Das Tagebuch als Rechenschaftsbericht
Während rund zwanzig Jahren führte Schinz ein Tage- buch. Es begann 1770 im Tessin mit regelmässigen Einträ- gen in einen Taschenkalender und setzte sich später in frei niedergeschriebenen Notaten fort. Hauptzweck des Schreibens war, Rechenschaft abzulegen, wie weit die Tage fleissig, strebsam und nutzbringend verbracht wor- den waren. «Wie wenig Gutes, wie wenig Erhebendes
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