Page 35 - weihnachtskurier_2023
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heute getan! Und doch floss schnell der Tag dahin!»,55 vermerkte der erklärte Feind allen Müssiggangs beispiels- weise Ende August 1775. Trotz der pietistischen Anklänge solcher Selbstbefragung liest sich die Mehrzahl der Ein- träge als nüchtern protokollierende Aufzählung zahlloser Namen im Zusammenhang mit Besuchen und Gegenvisi- ten, mit Korrespondenzen und Versammlungen, Spazier- gängen und Lektüren. Oft werden die Ereignisse eines Tages nur kurz rapportiert, Gespräche und Gedanken- gänge selten inhaltlich nachvollzogen. Auf Grund seiner Reiseerfahrung war Schinz in Zürich eine gefragte Per- son, man bat ihn um Rat und machte ihn mit fremden Besuchern und Durchreisenden bekannt. Mit unübli- chem Enthusiasmus hielt er im Juni 1775 die Begegnung mit den beiden Grafen von Stolberg fest:
«... welche in die Schweiz gekommen sind, aus Liebe zur Freiheit und der Einfalt der Sitten und der schö­ nen, angenehmen Landschaften halber – Jünglinge, deren Herz ganz der Wahrheit und Tugend geweiht, der edelsten Freundschaft und Zärtlichkeit offen steht, voll Gefühl, voll Menschenliebe, in den Wissenschaf­ ten bewandert, grosse Kenner der griechischen Spra­ che, Freunde der alten erhabenen Dichter ...».56
Dass es Johann Wolfgang Goethe war, der in Begleitung der beiden Grafen in Zürich Lavater aufsuchte, war Schinz, einem Verächter schöngeistiger Literatur,57 kaum der Rede wert.58
In zweierlei Hinsicht erweisen sich Schinzens Tagebuch- einträge des Jahres 1775 jedoch als sehr aufschlussreich: seine Bemühungen um eine Pfrund und der Wunsch nach Verehelichung. Alle bisherigen Bewerbungen um ein Pfarramt, sei es in Bäretswil, Bubikon, Stallikon oder Stettbach, waren bislang erfolglos geblieben.59 Warum sich Schinz’ Blick nun nach Uitikon richtete, ist nicht klar: Die Pfrundausstattung und damit die zu erwarten-
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