Page 16 - weihnachtskurier_2023
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Firmen in der Textilproduktion und im Grosshandel von 120 auf 230, was dem zudienenden Gewerbe und der Stadt Wohlstand und den Kaufleuten noch grösseres po- litisches Gewicht brachte.13 Auf den Strassen und Plätzen herrschte nicht nur reger Güterverkehr, der Handel mobi- lisierte Menschen, popularisierte das Reisen und förderte den Austausch von Ideen. Vieles geriet in Fluss, so auch der orthodoxe Dogmatismus der reformierten Staats- kirche.
Theologiestudium und Landbau
Am Carolinum, der theologischen Hochschule, die nur Zürcher Stadtbürgern offenstand, geriet der junge Schinz vollends in den Sog aufklärerischen Denkens. Den Glau- ben an Gott auf rationale Argumente zu bauen, die Worte der Bibel verständlich auszulegen und die christlichen Grundsätze den Gläubigen lebenspraktisch zu vermitteln – nach gut zweihundert Jahren dogmatischer Orthodoxie begann sich das Theologiestudium und das pfarrherrliche Rollenverständnis wenn auch zögerlich zu wandeln.14 Die «Diener am Wort Gottes» (V.D.M., verbi divini minis- ter) blieben zwar weiterhin der spätabsolutistischen Alli- anz von Kirche und Staat verhaftet, doch sollten sie weni- ger «als zürnende Gesandte Gottes»15 auftreten, um alle widerspenstigen Pfarrkinder zu verurteilen, denn als de- ren Vertraute und Hirten, um sie als Vorbilder auf dem Weg der tugendhaften Vervollkommnung zu begleiten und anzuleiten. Der Separatismus radikaler pietistischer Strömungen wurde abgelehnt, dennoch predigte mit Pfar- rer Johann Caspar Ulrich der Vertreter eines «gemilder- ten Pietismus»16 nicht ohne Erfolg am Fraumünster. Auch vom jungen Schinz ist überliefert, dass er sich mit Kameraden am Ufer der Sihl zu gemeinsamer Bibellek- türe traf.17 Eher denn schwärmerische Anklänge finden sich in seinen Schriften zuweilen Formulierungen, welche
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