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von Grobs schwerer Erkrankung erhalten hatte. Gerne nahm man in Zürich hingegen zur Kenntnis, wie sich Schinzens Qualitäten als aufmerksamer Beobachter und zuverlässiger Informant bewährten, als es in den Jahren 1770/71 infolge europaweiter Missernten zu einer Teue- rungs- und Hungerkrise kam. Dank der Nähe zu den norditalienischen Kornmärkten und seinen Kenntnissen über die Umschlagplätze entlang der Passrouten konnte er zeitnah über die Entwicklungen der Preise und Trans- portbedingungen berichten – willkommenes Insiderwis- sen in einer äusserst prekären Versorgungslage.45
Im Sommer 1772 ging der Einsatz als Sekretär von Land- vogt Meiss in Locarno zu Ende, Schinz zog zurück nach Zürich und kam vorläufig im Haushalt seines Schwagers Hess am Zeltweg unter. Zweimal noch sollte er als Pfarr- anwärter zu einer längeren Reise aufbrechen: Von Mitte Juni bis Ende August 1773 begleitete der inzwischen 28-jährige eine Gruppe von sieben jungen Zürchern auf eine Schweizerreise.
Unter dem wachsenden national-republikanischen Be- wusstsein, als Eidgenossenschaft umgeben von Monar- chien eine Sonderstellung zu behaupten, kritisierten Stimmen die modisch gewordenen Bildungsreisen, insbe- sondere wenn diese in katholische und eben monarchis- tisch regierte Lande führten.46 Man sah die jungen Ober- schichtsangehörigen (und zukünftigen Magistraten) reihenweise schlimmen Versuchungen ausgesetzt: Müssig- gang, Kartenspiel, Theaterbesuch und vielerlei libidinöse Ausschweifungen. Eine Schweizerreise, zumal unter der Führung eines bewährten und tugendhaften Mentors, war demgegenüber eine akzeptable Alternative.
«Wir möchten unser gemeinsames Vaterland kennen lernen und die besten Leute, die grossen Männer, liebe Eidgenossen schon in der Jugend verehren und bei älte ren Jahren nachahmen lernen»,47
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