Page 28 - weihnachtskurier_2023
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zur katholischen Welt suchte und fand. Bei seinen Recher- chen in den Dörfern und Talschaften des Locarnese un- terstützten ihn die Ortspriester, Klosteräbte gewährten ihm Zugang zu ihren Bibliotheken, geistliche Würdenträ- ger verschafften ihm Empfehlungsschreiben. Vom Erör- tern heikler konfessioneller Fragen liess man sich trotz Sprachbarrieren nicht abschrecken. Besonders angetan hatte es ihm der Pfarrvikar Giacomo Pancrazio Bustelli (1716–1771) von Vogorno im Verzascatal. Obwohl er dem Prediger nur wenige Monate vor seinem Tod begegnete, war Schinz von der Persönlichkeit und vom Ruf des nim- mermüden Seelsorgers als Friedensstifter so sehr einge- nommen, dass er dem Priester eine vielseitige Lobrede widmete.40 Es ist bemerkenswerterweise Schinzens erste Schrift, die 1773 in Zürich gedruckt wurde, vorsichtshal- ber von Schwager Hess ins Lateinische übertragen und nur mit Schinz’ Initialen versehen – beides Massnahmen, die vermutlich mit Blick auf die Empfindlichkeiten der Zürcher Zensoren ergriffen worden waren.41 Bald schon sollte sich das Elogium als überaus nützlich erweisen, diente es doch Schinz als Türöffner zu einer Audienz bei Papst Clemens XIV in Rom.42
Der Aufenthalt im Tessin trug zu einer enormen Hori- zonterweiterung des jungen Zürcher Pfarranwärters bei. Er ermöglichte ihm nicht nur Einblick in die katholische Welt, sondern auch in die Gepflogenheiten und Ballsäle norditalienischer Fürstenhöfe.43 Zudem ergaben sich nützliche Kontakte mit eidgenössischen und Zürcher Würdenträgern und Magistraten. So hoffte Schinz im Sommer 1771, im Zürcher Constaffelherr Heinrich Grob- Hotz (1712–1774) einen Fürsprecher gefunden zu haben, wenn es dereinst um die Zuteilung einer Pfarrstelle gehen werde: «Ich mache zuweilen seinen Dolmetsch und glaube, dass ich bei einer Pfrund auf seine Stimme zählen könnte.»44 Eine Hoffnung allerdings, die im Februar 1772 schon bald verflog, nachdem Schinz die Nachricht
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