Page 36 - weihnachtskurier_2023
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den Einkünfte waren unterdurchschnittlich (vgl. Abb. auf S. 36), der Gerichtsherr von Uitikon verfügte mit der Kol- latur60 über ein weitgehendes Mitspracherecht bei der Pfarrwahl und der derzeitige Amtsinhaber, Pfarrer Jo- hann Ludwig Keller (1734–1778), war mit dem Gerichts- herrn verschwägert. Die Möglichkeit, das Üdiker Pfarr- amt von der Stadt aus zu versehen, war für Schinz dennoch so attraktiv, dass er einen mehrstufigen Plan zu einer hochkomplexen Ämterrochade entwarf und diesen ziel- strebig verfolgte. Detailliert erläutert sind die einzelnen Schritte – von der Kontaktnahme mit Pfarrer Keller über das Vorsprechen beim Üdiker Gerichtsherrn bis hin zum Einbezug einflussreicher Fürsprecher aus dem eigenen so- zialen Umfeld – im Kapitel über die «Pfründenjagd» in der bereits erwähnten Studie Gugerlis.61 Gut zwei Jahre sollte es dennoch dauern, bis Schinzens Strategie aufging und er zum Pfarrer von Uitikon gewählt wurde. Tragisch hingegen das Schicksal seines Amtsvorgängers: Acht Tage vor Amtsantritt in der Kirchgemeinde Bonstetten er- tränkte sich Pfarrer Keller «in einem Anfall von Schwermut».62
Zur Selbsterkundung per Tagebuch gehört auch das Fest- halten besonders intensiver Gemütsbewegungen. Kein Wunder also, dass sich darin Spuren heftiger emotionaler Verwirrung zeigen, die mit Schinzens Brautschau zusam- menhingen. «Eine Schöne aus einem vornehmen Hause» vor den Altar zu führen, war eine verbreitete Hoffnung unter den Zürcher Exspectanten.63 Auch für Schinz kam nur eine standesgemässe Verbindung in Frage, die zudem zur Verbesserung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse bei- tragen sollte. Hin- und her gerissen fühlte er sich zwischen einer «Jungfer Pestalozza», jung, schön und vermögend,64 und der älteren Anna Elisabetha Finsler (1739–1786), für die er sich trotz Zuspruchs seitens seiner Geschwister zu- nächst nicht erwärmen konnte:
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