Page 37 - weihnachtskurier_2023
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«Sobald ich die Hauptperson, um deretwegen ich her gekommen war, sah, ergriff mich eine nicht zu verber gende Niedergeschlagenheit, weil sie meinen Ideen und Wünschen im Äusserlichen keineswegs entsprach. (...) In der Nacht konnte ich nicht schlafen, weil ich der Person halber, die ich gesehen und die mir nicht ans Herz wachsen wollte, ganz unruhig und zu keinem Entschluss fähig war.»65
Gleichwohl obsiegte die Vernunft. Nachdem Anna Elisa- betha ihre Zustimmung zu allen von Schinz vorgebrach- ten Plänen für die gemeinsame Zukunft erklärt hatte, gaben sich die beiden noch im September das Eheverspre- chen.66 Der Bräutigam wurde allerdings weiterhin von ei- nem Wechselbad der Gefühle heimgesucht:
«... blieb bis gegen 8 Uhr dort [im Hause der Braut] und ging freudiger nach Hause als ich hingegangen: Die Betrachtung der vollkommenen Güte und her zenszärtlichen Ergebung meiner Braut erweckte in mir Mitleid und bald konnte ich, so kalt ich auch zu vor war, der Gegenzärtlichkeit nicht widerstehen. – Heute schlief ich noch viel unruhiger ein als gestern – Hoffnung und Besorgnis stritten in mir: die Hoffnung, glücklich mit und durch meine Braut zu werden, Be sorgnis aber, sie nicht so zärtlich, wie sie es verdiente, lieben zu können.»67
Schinzens emotionale Instabilität blieb noch eine ganze Weile bestehen und führte im Hause Hess-Schinz, wo der Bräutigam noch immer wohnte, zu heftigen Streitereien. Doch die Vernunftheirat war beschlossene Sache und wurde im November 1775 in der Kirche von Embrach gefeiert. Rückblickend hielt Schinz am Jahresende im Ta- gebuch fest:
«Ein Jahr, welches eines der merkwürdigsten in mei nem ganzen Leben ist – gezeichnet von der besten und
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