Page 45 - weihnachtskurier_2023
P. 45
«... Säumte mich bei Kirchmeier in seiner Stube, wo auch Schuler Jakob war, bis nach 10 Uhr und ass zum Teil mit ihnen zu Nacht. Sprachen über Bauernge spräch, über die Wissenschaften für den Bauern, von der Einrichtung der menschlichen Liebe (...) Konnte deswegen lang nicht schlafen.»90
Auch den Abend des Ostersonntags verbrachte Schinz in Gesellschaft des Kirchmeiers, zeigte den ihn begleitenden Knaben eine «Erdkarte» und erzählte ihnen Geschich- ten.91 Schinz’ eigener Sohn, der achtjährige Heinrich Ru- dolf, begleitete seinen Vater zweimal nach Uitikon, über- nachtete dort bei ihm und war anderntags beim Gang ins Gerichtsherrenschloss mit dabei.92
An manchen Sonntagnachmittagen machte Schinz sich auf den Weg Richtung Schloss, wo sein Besuch zunächst der «alten Frau Gerichtsherrin» galt. Der Umstand, dass sein Amtsantritt in Uitikon mit dem Suizid ihres Bruders, Pfarrer Johann Ludwig Keller, Schinzens Vorgänger in Uitikon, zusammengefallen war, scheint die Beziehung nicht belastet zu haben (vgl. weiter oben, S. 34).93 Auch beim einzigen Mal, wo Anna Elisabetha Schinz-Finsler ihren Gatten im Berichtsjahr nach Uitikon begleitete, ge- hörte der Besuch bei der früheren Gerichtsherrin zum Nachmittagsprogramm.94 Anna Katharina Steiner-Keller (1730–1807) war seit 1781 verwitwet und lebte offenbar ganzjährig auf dem Schlossgut.95 «Machte der alten Frau Gerichtsherrin Besuch, welche mir ihr Herz mit Weinen ausleerte», notierte Schinz am 13. März 1785, ohne den genaueren Grund für ihren Gemütszustand anzugeben. Vielleicht sah sie mit Bangen der Verheiratung ihrer Toch- ter entgegen. Monate später, ab November 1785, wurde von Pfarrer Schinz weit mehr als seelsorgerlicher Beistand abverlangt, denn ein anderer Bruder Anna Katharinas, Heinrich Keller, ebenfalls Pfarrer, war in seiner Kirchge- meinde Weisslingen ins Gerede gekommen:
43