Page 21 - weihnachtskurier_2023
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Die «Bodmer-Jünglinge»: eine Zürcher Protestbewegung
Seit 1737 sass Johann Jakob Bodmer im Grossen Rat, doch sein Wirken am Carolinum war von weitaus grösse- rer politischer Bedeutung. Als Inhaber des Lehrstuhls für helvetische Geschichte machte er seine Studenten mit re- publikanischen Ideen vertraut, die er ihnen anhand der griechischen Polis, der römischen Republik und der Alten Eidgenossenschaft näherbrachte.
Die den Vorvätern nachgesagte Tugendhaftigkeit, Be- scheidenheit und Freiheitsliebe bildete dabei die Kontrast- folie für eine radikale Zivilisationskritik, die auf politi- sche Missstände wie Ämterkauf, Korruption und deren Duldung durch die derzeitigen «Gnädigen Herren» ab- zielte und überall Sittenzerfall, Verweichlichung und wachsenden Hang zum Luxus diagnostizierte. Dem Chorherrn gelang es, ausgehend von Problemstellungen der Vergangenheit seine Studenten zu einer kritischen Be- urteilung der aktuellen politischen Zustände zu befähi- gen. Bald bildete sich ein Kreis von «Bodmer-Jünglin- gen», dem so bekannte Namen wie der spätere Maler Johann Heinrich Füssli (1741–1825); Salomon Landolt (1741–1818), später Landvogt von Greifensee; Johann Kaspar Lavater (1741–1801), Schriftsteller und Physiog- nom sowie Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827) an- gehörten. Schinz wie auch sein zukünftiger Schwager Jo- hann Jakob Hess (1741–1828), Kaspar Escher vom Glas (1744–1829), der 1775 die Ehe zwischen Schinz und Anna Elisabetha Finsler vermitteln wird, und Junker Jo- hann Ludwig von Meiss (1745–1795), eng mit Schinz be- freundet, gehörten ebenfalls dieser jugendlichen Subkul- tur an, die in der Forschungsliteratur mit dem Namen «politische Patrioten» bezeichnet wird.24
Auf Initiative Bodmers traf man sich ab Frühjahr 1762 wöchentlich in der «Historisch-politischen Gesellschaft
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