Page 24 - weihnachtskurier_2023
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in Zürich mit Schinz und zwei Dättliker Gewährsmän- nern. Auf deren Wunsch hin protokollierte Schinz die Anklagepunkte, doch war das Schriftstück lediglich als Gedankenstütze für die beiden Dorfleute gedacht. Die Dättliker sprachen bei den zuständigen Kirchenbehörden vor, die ihnen die Klageliste von Schinzens Hand abver- langten und gleichwohl untätig blieben – eine Steilvorlage für die «politischen Patrioten». In seinem Kirchenstuhl fand Antistes Wirz, der Vorsteher der Zürcher Staatskir- che, am ersten Maisonntag 1765 einen Brief, der ihn be- schuldigte, die Angelegenheit zu verschleiern. «Besinnt Euch wohl, was Ihr tut, sonst möchten die Steine anfan- gen zu schreien und Euch als einen treulosen Heuchler vor der Welt bekannt machen», so endet das anonyme Schrei- ben. Nun begannen Ermittlungen, dem Verfasser eines solchen «Lästerbriefes» wollte die Obrigkeit unbedingt auf die Spur kommen. Weder Verhöre unter den üblichen Verdächtigen – darunter Lavater und Pestalozzi – noch das Aussetzen einer hohen Prämie brachten den erhofften Er- folg. Schinz als Protokollant der Klageliste und die beiden Dättliker Beschwerdeführer blieben als einzige fassbar.
Die Affäre endete wie der «Grebel-Handel» mit Strafen gegenüber allen Involvierten, so sie namentlich bekannt waren. Der Dättliker Pfarrer wurde während zweier Jahre suspendiert, die beiden Gewährsmänner «wegen über- triebener Anklagen» zwei Tage lang im Rathaus festge- setzt. Schinz, dessen Rolle in der Angelegenheit eher wohlwollend-unterstützend denn aktiv-provozierend zu werten ist, wurde wegen «Unbesonnenheit und höchst unordentlichem Verfahren» getadelt. Dass ihm überdies offiziell obrigkeitliches «Missfallen» bekundet wurde, dürfte dem kurz vor der Ordination stehenden Theologie- studenten existentielle Sorgen bereitet haben, hing doch die Erlangung künftiger Pfarrwürden ebenso sehr von der persönlichen Unbescholtenheit wie von der Gunst ein- schlägiger Kreise ab.
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